Eine Besserung muss her, EKT?
April 2015.
Seit rund einer Woche beschäftige ich mich sehr mit dem Gedanken tatsächlich eine Elektrokrampftherapie im Krankenhaus durchführen zu lassen. Ich recherchierte alle interessanten Seiten zum Thema im Internet. Wissenschaftliche Grundlagen und Statements von renommierten Ärzten und Kliniken. Erfahrungen von Ärzten und mir sehr wichtig Patienten in unterschiedlichen Ländern. Eines ist klar, man findet zu allem was es auf diesem Planeten gibt im Schreibrohr des Menschen, bei Meister Google auch leider Negatives. Das wäre so als wenn einem Medikament kein Beipackzettel beiliegt. Zusammenfassend versuche ich mich auf die positiven Erfahrungen von Patienten zu besinnen. Die negativen Meinungen sind zwar sehr dominant abschreckend beschrieben, beruhen aber oft zum Großteil auf ethischen Sichtweisen wie zum Beispiel dass es unmenschlich sei mit Strom ein Gehirn therapieren zu wollen. Die Interpretation, Definition und Emotion spielt bei den negativen Meinungen dazu die größte Rolle. Es ist ungefähr vergleichbar mit Themen wie „ob Sterbehilfe schwer kranker leidender Menschen die Sterben wollen vertretbar ist oder nicht“, oder der Thematik ob ein Embryo welches mit 99 prozentiger Sicherheit schwerst behindert zur Welt kommen wird abgetrieben werden darf, sollte oder nicht. Ja, so ähnlich würde ich den emotionalen Hintergrund der Elektrokrampftherapie beschreiben. Die Sichtweisen dazu als auch die Häufigkeit der Anwendung ist in den Ländern bzw. verschiedenen Kontinent extrem unterschiedlich. In den Vereinigten Staaten als auch in den nördlichen Ländern Europas wird diese Art der Therapie bei weitem mehr als normale Therapieform akzeptiert und dementsprechend auch eingesetzt als zum Beispiel in Österreich und Deutschland. Bei Deutschland wird der Grund Distanz dazu darin vermutet dass durch den Missbrauch in der Nazizeit im 2. Weltkrieg an unzähligen Patienten wissenschaftliche Versuche durchgeführt wurden. Die Elektrokrampftherapie, auch Elektrokonvulsionstherapie genannt, mit dem Versuch die positive Weiterentwicklung der letzten ca. 60 Jahre dem Patienten angenehmer und zugänglicher zu machen hat sich natürlich verändert. Allerdings ist in Deutschland aber auch in Österreich noch das Wissen über die damals unkontrollierte und brutale Anwendung an den Menschen noch sehr im Gewissen und assoziieren damit schon mal Abschreckung die auch teilweise bevor man sich im Detail informiert verständlich ist.
EKT – Das O.K.
17.20 Uhr
Termin bei meiner Ärztin Dr. House in ihrer Ordination. Ich erzähle ihr von meiner weiter anhaltenden psychischen Instabilität, von regelmäßig auftretenden starken symptomatischen körperlichen Qualen wie diese Atemdepression oder Dyspnoe, Herzanomalien, Tachykardien, Verschwommenheit der Wahrnehmung, Achterbahnfahrt der Gefühle. Ich bitte Sie für mich alles in die Wege zu leiten eine Elektrokrampftherapie in der Psychiatrie bei mir durchführen zu lassen. Kurz danach schießen mir auch gleich die Tränen aus den Augenwinkeln. Tränen der Anspannung. Tränen, die Entscheidung auszusprechen diese doch nicht gewöhnliche Therapie an mir durchzuführen. Ich weiß nicht ob es die richtige Entscheidung ist. Aber ich entscheide mich dafür. Und ich stehe zu meiner Entscheidung. Das geht Hand in Hand. Ich muss zu meiner Entscheidung stehen sonst verlässt mich der Mut den ich ständig mit mir schleppe. Hoffentlich hilft es mir. Hoffentlich geht alles gut.
Frau Prof. House teilt mir mit dass Sie erst die EKT-Liste einsehen muß wann ich einen Termin erhalte. Sie wird mir diesen mitteilen. Es ist geplant erst 2 Tage vor Durchführung der 1. EKT im Krankenhaus einzuchecken. Es sind zumindest 6 Einheiten geplant. Sollten diese positive Wirkung zeigen werden ca. weitere 3 bis 6 Einheiten durchgeführt. Die EKT´s werden jeweils Montag, Mittwoch, Freitag durchgeführt, also 3 pro Woche. Somit werde ich 2-4 Wochen, je nach Verlauf stationär im Krankenhaus verbringen.
EKT – Es geht los!
Mai 2015
Kurz vor der Frühstücks-Durchsage wache ich auf. EKT! der Gedanke benötigt zirka Lichtgeschwindigkeit um mir den Tag vorzugeben. Durch das einschießende Adrenalin ist auch die depressive Schlummer-Phase vorbei. Jetzt volle Konzentration. Durchatmen. Konzentriere dich. Du ziehst das jetzt durch. Du hast dich entschieden, sagen mir meine Gedanken. Ich steige aus dem Bett, gehe die 3 Meter ins Badezimmer, schaue in den Spiegel, O.K. Baby, jetzt geht es los. Christian, 16.12., 2.2., 4.10., 22.07., 06.06., Die voluminöse Expansion der subterialen Agrarproduktion steht in reziproker Relation zur intellektuellen Kapazität des Produzenten, Allibaba, Kurs 76,40…. wenn ich aufwache gehe ich das alles noch mal durch ob ich mich noch daran erinnern kann. Jetzt tu was du tun musst Junge. Ok. Komm. Konzentriere dich.
Ich putze mir die Zähne, eine frische Rasur auf jeden Fall falls ich dabei drauf geh, wer will schon unrasiert aus dem Leben schreiten, außerdem werde ich vielleicht schneller wieder belebt falls mein Herz versagt, bin ich ungepflegt und unrasiert zögern die vielleicht im Kreis werde den Vorrang hat. Immerhin, ich würde mein Datum am Grabstein als einer der Wenigen im Vorhinein gekannt haben.
So, Baby-Haut garantiert, ich streiche mir über die zarte Haut, das ist gut rasiert, sieht in Ordnung aus. In Gedanken sehe ich bereits die Elektrode auf der rechten Schläfe angebracht. Streiche darüber, gehe in Gedanken alles durch. Heute keine Gesichtscreme. Duschen ist mir jetzt auch kurzfristig zu aufwendig. Aber die Füsse packe ich ins einzeln abwechseln ins Waschbecken und seife sie ordentlich ein. Will doch nicht dass meine EKT-Crew durch den Geruch der Sportschuhe in Ihrer Arbeit beeinträchtigt werden.
Den Oberkörper mache ich auch noch schnell mit Katzenwäsche frisch. Sogar einen Spritzer Hugo Boss eitle ich unter meine Achselhöhlen. Verdünnisiert sich dann ohnehin mit einem Liter Schweiß die nächste Stunde. Besser als nichts.
So das war es. Beine bequeme Pyjamahose wird angezogen. Am Oberkörper brauche ich nichts. Da werden dann ohnehin die EKG-Elektroden platziert. Hänge mir nur meinen Lieblings grünen Kaputzenjacke um.
Sekunden danach schreitet auch schon ein junger Medizinstudent in mein Zimmer. Herr Christian ? Ja. Guten Tag. Sie bekommen jetzt einen Teflon von mir gesetzt und dann machen wir ein EKG.
Alles klar sage ich und unterdrücke an diesem erst kurzen Morgen schon zum ersten mal meine Tränen.
Er spielt sich eine zeit lang mit den verwurschtelten Kabeln wie ich zeitweise mit meinem Terrassenschlauch. Er erzählt dass ihm die letzten Male immer das Papier der EKG-Aufzeichnung ausgegangen sei und hofft dass das heute nicht so ist. Mhm, klar.
Der diensthabende Pfleger Hr. Karl kommt in mein Zimmer.
So. Herr Christian. Sie bekommen jetzt eine Infusion. Vitamine. Jaaa?!
OK. Karl. Alles klar.
Kurz danach schreitet auch schon ein junger Medizinstudent in mein Zimmer. Herr Christian ? Ja. Guten Tag.
Er spielt sich eine zeit lang mit den verwurschtelten Kabeln wie ich zeitweise mit meinem Terrassen-Schlauch. Er erzählt dass ihm die letzten Male immer das Papier der EKG-Aufzeichnung ausgegangen sei und hofft dass das heute nicht so ist. Mhm, klar.
Wir plaudern noch etwas über seine laufende Fußball-Gegenwart und meine aufgrund meines Patellaspitzensysndroms abgelaufene aktive Fußball-Aktivitäten und dann läuft auch schon das Kontroll-EKG.
Übrigens, es soll so um 11.00 Uhr losgehen. Also bald. Flüstert er mir noch zu.
Danke für die Info sage ich mit leicht steigendem Puls.
Schönes Wochenende, ergänze ich noch.
Danke. Wünsche Ihnen noch eine gute Genesung.
Kaum hat er den Raum verlassen nehme ich mein Handy zur Hand. Meinen Vorsatz bis nach der EKT aus keinen Kontakt mehr zu Familie und Freunden zu haben um die emotioalen Gefühle etwas runter zu schrauben schmeiße ich in der gegenwärtigen Emotion in einer Sekunde über den Haufen. Wie programmiert haue ich in die Tasten und verteile es an meine Liebsten.
„Bin ca. um 11.00 Uhr an der Reihe“ schreibe ich…
Sekunden später, alles geht Schlag auf Schlag, steht Frau Prof. House, meine Ärztin vor meinem Bett.
Guten Morgen Herr Christian, sagt Sie mit ihrer weichen Stimme, reicht mir ihre warme Hand und ergänzt:
Um 10.00 Uhr starten wir Herr Christian, in ein paar Minuten.
Ich bin bei Ihnen, Ja. Alles wird gut. Bis gleich.
Spätestens jetzt haben sich alle wenn auch depressiven Sinne teils aktiviert und der Tunnelblick besser gesagt Tunnel-Gedanke auf meine EKT nimmt ein eigenes Ausmaß an.
Ich schnappe nochmal im Handumdrehen das händy und tippe:
„Jetzt bin ich dran“
3 Minuten später stehen meine Ärztin, und noch 2 weitere an meinem Bett.
Die Infusion wird vom Venflon abgehängt.
Ich werde gefragt ob ich im Bett mit runter fahren möchte oder gehen möchte.
Gehen!
Die Ärzte schieben mein Bett und ich trappe hinterher.
Wir müssen 2 Stöcke tiefer, Richtung Aufzug erstmal. Dort das Bett eingefädelt zwängen wir uns dann zu viert um das Krankenbett.
Ebene 4
Raus, den Gang entlang Richtung EKT-Intensivstation.
Noch hat meine Gefühlswelt voller Angst und Unsicherheit nicht die Decke erreicht, aber es spitzt sich mit jeder Sekunde mit jedem Meter, mit jedem Satz des Ärzteteams, mit jeder Emotion der Leute um mich extrem zu. Wie ein Fieberthermometer. Es steht bei 39.
Eine Türe wird geöffnet, das Bett hinein geschoben. Ich gehe hinein. Der Anästhesist sitzt in der Ecke und begrüßt uns.
Er wirkt als hätte er was geraucht oder sich selbst eine kleine Dosis anästhesiert. Es liegt an seinem Äußerem und seiner Art, nicht dass ich seine Professionalität anzweifle.
So, Herr Christian, legen Sie sich bitte mal aufs Bett.
Gesagt getan, lege den Kopf zurück. Ab diesem Moment beginnt alles wie in Zeitlupe abzulaufen.
Die EKG-Elektroden werden auf meinem Oberkörper angelegt. Monitore um mein Bett herum.
Die Ärztin beginnt meine rechte Schläfe mit einem Gel einzureiben. Jeder Schritt der durchgeführt wird wird mit einem einfachen Satz dokumentiert um mich zu informieren bzw. weil es einfach so üblich ist.
Dann wird auf das Gel eine Elektrode gelegt und angebracht. Ein Metallband um meine Stirn folgt.
Mein Augen blicken nur noch in eine der Scheinwerfer an der Decke und rühren sich nicht mehr von der Stelle. Ich möchte jetzt nichts mehr sehen außer dieses Licht da oben.
Der Anästhesist: Herr Christian, sind Sie mit dem Pianist verwandt?
Nein.
Anästhesist: 185 groß, und 78 Kilo habe ich in Erinnerung.
Bitte bringen Sie jetzt nicht meine Unterlagen durcheinander. 72 Kilo! sage ich mit bestimmender leicht entsetzter vorwurfsvoller Stimme.
Keine Antwort darauf.
Voll lauter Angst in diesen Sekunden habe ich nicht mal mehr genug Gedankenfreiheit um mir zu denken: Was für ein Vollidiot wenn das witzig sein soll.
Der Anästhesist spritzt mir die Narkose in mein Röhrchen und teilt mir mit dass es brennen wird aber dass es nicht anders geht.
Es wird ca. 30 Sekunden dauern, Herr Christian.
30 Sekunden? denke ich mir. Nehme es zur Kenntnis. Blicke weiter ins Licht.
Es brennt! Es brennt wirklich! Höllisch.
Meine Ärztin hält leicht meine triefend schwitzende eiskalte Hand. Das berührt mich in diesem Augenblick ein wenig. So eine kalt schwitzende Hand zu halten um mir zu zeigen dass Sie da ist.
So, Herr Christian, jetzt wird es gleich kalt am Kopf, wir machen hier den Druckausgleich.
Ich spüre leichte Müdigkeit. Wehre mich vehement dagegen. Als wenn ich mich gegen das Sterben wehren würde.
Mein Bett wird von den Ärzten langsam gefahren.
Wo fahren wir hin? Warum fahren wir?
Es ist schon vorbei Herr Christian! Alles ist gut.
Vorbei? Ich bin doch gar nicht eingeschlafen?
Ich werde aufs Zimmer geschoben.
Dort greife ich zu meinem am Nachtkästchen liegendem Handy. Zur Sicherheit hatte ich vor der EKT meinen PIN-Code entfernt falls ich mich danach aufgrund von Kurzzeitgedächtnis-Problematik nicht mehr erinnern hätte können.
11.03 Uhr
Ich tippe wieder:
Bin wach, 1. EKT angeblich gut überstanden! Bin noch benommen. Ab 12.00 Uhr darf ich was trinken, bis bald!
Sediert fühlend und schwankend raffe ich mich trotzdem schon nach Minuten im Bett etwas auf. Etwas narzisstisch wirkend schaue ich in meinem Handy mit der Frontansicht-Einstellung aufs Display. Na ich schau vielleicht drein. Halleluja. Die Haare stehen mir zwar nicht zu Berge, aber der Gesichtsausdruck gleicht einem Tiefschlaf der etwa Jahre gedauert haben könnte. Ich setze mich auf, schlupfe in meine Bade-Schlapfen, ziehe meine Jean an, ein T-Shirt, meinen Lieblings grünen Kaputzen-Sweater, gehe kurz mal ins Bad, wasche mir wie eine Katze das Gesicht, hole mir eine Zigarette und mein Feuerzeug aus dem Nachtkästchen und torkle raus auf den Gang. Im Aufenthaltsraum hole ich mir einen Kaffee und torkle mit dem Becher weiter Richtung Aufzug hinunter Richtung Ebene 4 zum Gartenausgang auf die Bank im Raucherbereich. Dort sitze ich nun, versuche die Balance zu halten, trinke meinen Kaffee und zünde mir eine Zigarette an. Schon nach wenigen Minuten beginnt sich mein Puls in die Höhe zu schrauben, so auf 120+ und der Kreislauf spürt sich gar nicht zufrieden an. Leichte Panik kommt unterbewusst auf. Ich dämpfe die halbe Zigarette aus und suche schnell das Weite. Das war wohl keine gute Idee. Ich muss sofort rauf in den kontrollierten Bereich. Der Aufzug fährt mir fast nicht schnell genug von 4 auf Ebene 6. Schnell rein, falls es mich jetzt umhaut muss wer in der Nähe sein. Auf meiner Station angekommen melde ich mich beim Stützpunkt und melde dass es mir gar nicht gut geht, ich einen Kaffee getrunken und blöderweise schon eine Zigarette geraucht hätte. Meine Ärztin und das Stationspersonal bitten mich mich in meinem Bett noch auszuruhen. Dem leiste ich auch Folge. Hauptsache Sie wissen Bescheid dass es mir jetzt plötzlich verdammt mies geht. Ich verbringe etwa 1 Stunde schonend im Bett. Nachdem sich meine Panik, mein Puls und meine Übelkeit wieder etwas legen stehe ich wieder auf, gehe zum Stützpunkt und bitte um mein Mittagessen welches in der Küche für mich reserviert wurde. Suppe, Panierter Dorsch mit Zitrone und Kartoffelsalat. Die Suppe geht noch. Als ich den panierten Dorsch von Zitronen getränkt mit kleinen Bissen langsam schlucke beginnt mein Hals zu kratzen und zu brennen. Auch das Schlucken spürt sich noch an als wenn ich es gerade lernen würde. Irgendwie fühle ich mich total fertig, reibe mir ständig die Stirn und esse in Zeitlupe. Danach begebe ich mich wieder aufs Zimmer um mich wieder etwas ins Bett zu legen.
Gegen vier Uhr Nachmittag trudelt mein Bruder zu Besuch ein. Ich freue mich riesig dass er gekommen ist. Wir sitzen unten im Garten rum und ich erzähle ihm wie ich mich fühle und wie gnadenlos aufregend die 1. EKT verlaufen ist. Dass man bis wenige Sekunden vor der Einleitung des Stromstoßes nicht sediert alles mitbekommt, meine Hände Schweißtriefend neben dem Körper lagen und man noch auf einen schlechten Witz des Anästhesisten nicht gereizt reagieren sollte.
„Guten Tag Herr Christian, heute zeige ich Ihnen wie das funktioniert und das nächste Mal können Sie es schon selber machen“
Normalerweise hätte ich ihm für diesen Blödsinn eine kurze EKT ohne Narkose verpassen müssen. War leider nur in meiner Phantasie möglich. So ein Arschgesicht.
Mein Bruder leistet mir ein zwei Stunden Gesellschaft. Danach kommt Sandra. Immer noch wie belämmert verbringe ich mit ihr eine Weile im Garten und erzähle noch mal alles von Vorne. Schließlich mein Tageshighlight, eigentlich Jahreshighlight wenn nicht eines meiner persönlichen biographischen 7 Lebens-Weltwunder. Mittlerweile hatte ich ein paar Stunden abzuchecken ob noch bei meinem Gedächtnis so alles da ist, bin Geburtsdaten und einige wenige lyrische Erinnerungen durchgegangen. Bemerke keine Auffälligkeiten. Gottseidank. Ich akzeptiere alles als positiven Verlauf, als 1. EKT gut überstanden, laut Ärztin hat der Krampfanfall medizinisch bzw. therapeutisch gepasst, keine Komplikationen wurden mir mitgeteilt, und nehme es als erfolgreich und überstanden in mir auf.
Am Abend vorm Zubettgehen bemerke ich beim Zähneputzen dass meine Nasenspitze total mitgenommen ist. Alles offen, ausgeprägte Fieberblasen am Naseneingang und mein Hals brennt und kratzt als wäre eine Influenza im Anflug.
Samstag morgen erwache ich schon erstmal kurz gegen 5 Uhr. Außergewöhnlich munter fühle ich mich. So, als könnte ich jetzt aufstehen und an jedem Therapieprogramm bereits teilnehmen. Normalerweise fühle ich mich erst wenn überhaupt so gegen Mittag. Ich freue mich kurz darüber, weiß aber dass das Frühstück erst um 8 Uhr kommt, besuche kurz die Toilette und nicke dann wieder in den Schlaf.
Um 8 Uhr wird per Lautsprecher das Frühstück angekündigt. Eigentlich wie im Flugzeug. Finde ich charmant. Jedesmal sagt es wer anderer durch. Wer halt gerade Dienst hat am Stützpunkt der im Schichtwechsel immer von zwei Stationsmitarbeitern besetzt ist. Am Wochenende ist keine Visite. Ein Oberarzt ist für alle psychiatrischen Stationen sozusagen notbesetzt und zuständig und jongliert zwischen den Ebenen je nach Bedarf.
Beim Frühstück fühle ich mich nicht schlecht. Eindeutig besser als sonst. Nicht so gehemmt durch vegetativ bedingte Symptomatik und freue mich darüber. Der eine oder andere fragt mich beim Frühstück wie es war und wie es mir geht und ich kann uneingeschränkt und mit größerer Leichtigkeit darüber kurz sprechen. Nach dem Frühstück begebe ich mich wieder in den Garten bzw. zuerst auf die überdachte Bank vor dem Garten. Dort wo zwei Bänke und ein Rauchertegel stehen und traue mich doch glatt instinktiv bereits eine anzuzünden. Normalerweise habe ich das rauchen am Vormittag abgestellt weil es mir in letzter Zeit nach dem Rauchen immer gleich total schlecht ging. Dyspnoe, Extrasystolen und depressive Verstimmung nahmen immer gleich um satte fünfzig Prozent zu. Nur diesmal nicht. Wie in guten Tagen vertrug ich die erste Zigarette bereits nach dem Frühstück. Hallo Dopamin! Und kein depressiver Abfall. Keine vegetativ bedingten Entgleisungen. „Freu!“ Ich weiß nicht, kann es eh nicht wissen ob es Zufall oder auch Placebo ist. Vielleicht hat es mit der 1. EKT zu tun? Wäre toll. Meine Waden haben einen Muskelkater als wenn ich am Vortag 200 Kilometer mit dem Rad in einem durchgefahren wäre. Heftig. Aber Kleinigkeiten denke ich mir. Wenn sonst nichts ist.
Das Wochenende verbringe ich im Krankenhaus. Tagesausgang ist zwar genehmigt. Sonntag, Muttertag fühle ich mich nicht mehr so wie Samstag. Unsicher, schwach, eiskalte Hände, depressiv, nervös. Ich habe für 12.30 im Klinikum einen Tisch für 4 Personen reserviert. Meine Eltern, mein Bruder und ich wollen hier auch anlässlich des Muttertags etwas Zeit miteinander verbringen. Ich fühle mich nicht gut. Für mich wird das Muttertagsessen im Klinikum fast zum Aussitzen oder Beisitzen. Ich kann an den Gesprächen kaum was lockeres, ergänzendes oder lustiges beitragen, spüre das und es tut mir sehr weh nicht gut zu fühlen und vom Besuch meiner Familie profitieren zu können. Es tut verdammt weh!
2. EKT – 6 Sekunden Herzstillstand!
Montag, 11. Mai 2015.
10.00 Uhr. Ich werde wieder in den EKT-Raum auf Ebene 4 gebracht. Während das Prozedere am und ums Bett herum seinen intensiven Lauf nimmt meint meine Ärztin Prof. House kurz zu mir: „Heute sind Sie etwas entspannter als beim 1. mal, sagen zumindest die Monitore Herr Christian.“ Ich erwidere: „Vielleicht 2 Prozent Frau Professor, 2 Prozent“.
Die Narkose wird eingeleitet. Ich wehre mich gegen die Wirkung, und tschüss…..
…. ohne wahrnehmende Zwischensequenz, als wenn ich keinen Filmriss bemerkt hätte werde ich bereits wieder mit dem Bett von den Ärzten Richtung meinem Zimmer geführt.
Dort bleibe ich diesmal länger liegen und mache nicht den gleichen Fehler zu früh aufzustehen und gleich eine „durch zu ziehen“.
Zirka 30 Minuten später erscheint meine Ärztin an meinem Bett, nimmt sich einen Stuhl und setzt sich zu mir.
„Herr Christian, es gibt da etwas das müsste ich Ihnen gar nicht sagen, aber da wir immer so offen miteinander reden möchte ich Ihnen das sagen“
In mir braut sich ein Gewitter seinesgleichen zusammen! Was kommt da jetzt bitte, denke ich mir und schau Sie entsetzt und voller Anspannung und Angst an.
„Ihr Herzschlag hat 5 Sekunden ausgesetzt.“
„Scheiße“ erwidere ich und Tränen zwängen sich durch meine Contenance.
„Sie sagten doch Sie trainieren zuhause regelmäßig, gell.?“
„Ja, aber Frau Prof. dass heißt nicht dass ich noch Sportler bin bzw. die Fitness eines Leistungssportlers mit 47 Jahren mitbringe. Dass ist ein Notprogramm um mich so gut es geht Zuhause noch etwas fit zu halten um es soll antidepressiv entgegen wirken.“
„Herr Christian, ich wollte Ihnen das sagen, und wir wollen jetzt nicht mehr daraus machen als es ist. Ich habe als Sahnehäubchen einen ganz lieben Internist vom Krankenhaus gebeten mit Ihnen zu reden und sich das mal kurz anzusehen. Der Internist schaut morgen ab 14.00 Uhr bei Ihnen vorbei. Zur Sicherheit Herr Christian. Alles wird gut.“
Ich bin fast sprachlos, nehme Ihre Information zur Kenntnis und verfalle in meine unglaublich ängstliche Gedankenwelt.
Warum? So ein verdammter Dreck. Kann nicht irgendwas das ich durchziehe mal glatt laufen. Ohne Komplikationen? Nein. So ein Mist. Das stand einfach nicht auf meinem Plan. Ich habe mich so überwunden dieser EKT zuzusagen und Sie dann auch durchführen zu lassen. Unglaubliche Überwindungen. Und jetzt das?! Das darf doch nicht wahr sein.
Physisch mitgenommen und mental völlig demontiert liege ich wie eine ausgedorrte Birne in meinem Bett und die Zeichen meiner Tränen die ohne Schluchzen die Wangen runter laufen sind das momentan einzige Lebenszeichen das ich empfinde. Ich bin zerschlagen, fühle meinen Mut durchkreuzt. Wie viel Schicksal schmettert mir der Zufall des Lebens, die Erkrankung noch vor den Latz. Was musste ich alles tun und wie weit bin ich gegangen um das hier zu tun. Um mir Elektroden an die Schläfe schnallen zu lassen und Strom an den Vagus Nervus und durchs Gehirn knallen zu lassen um eine angeblich oder eventuelle gute Chance wahrzunehmen dass eventuelle zuviele Vernetzungen in meinem Gehirn gekappt und eventuell wesentliche Hauptvernetzungen wieder mehr Fluss bekommen könnten. Und jetzt? Jetzt spielt tatsächlich mein Herz nicht ganz mit? Ich habe mich für diese Tage vorbereitet, habe zuhause in Angst und Ehrfurcht Extraschichten auf meinem Heimtrainer und auf meiner Fitness-Matte tausende von Situps und Liegestützen gemacht um hier physisch halbwegs fit zu sein. Und jetzt spielt mein Herz nicht mit? Ich bin ein Mensch mit einem großen Herz, mit einem sensiblen Herz, mit einem trainierten Herz. Auch wenn es die letzten Jahre aufgrund meiner psychischen Erkrankung zu oft durch die Hölle ging. Und jetzt spielt mein Herz nicht mit?
Nach stundenlangem Warten auf den Kardiologen der sich dann kurz vor 20.00 Uhr als Internist auf herbei eilendem Roller am Stützpunkt vorstellt bin ich wieder hoch konzentriert.
Er sitzt im Stützpunkt, die Türe wird angelehnt. Er begutachtet einige Unterlagen, ein paar Blicke in einen Monitor, ein paar kurze Sprechblasen zu den Stationsschwestern. Vielleicht drei vier Meter entfernt in einem Warteareal mit Blick durch die Fenster des Stützpunktes verfolge ich akribisch jede einzelne Mimik des Arztes, als wenn ich seine Mundbewegungen lesen wollte. Mein Gehirn und meine kognitiven noch vorhandenen Fähigkeiten geben jetzt noch mal alles was sie drauf haben. Jede Bewegung des Arztes wird unter eine Schablone gelegt und in Millionstel Sekunden gescannt und in einer Schublade eingelegt. Es dauert keine zwei Minuten und meine Schubladen sind gefüllt. Doch was wird sich bewahrheiten? Nicht mehr abwartend gehe ich in die Offensive. Schreite zum Stützpunkt. Noch bevor die Schwestern deuten können dass der Herr der da vor der Türe stünde der betreffende Patient sei schiebe ich die angelehnte Türe so seriös als möglich in die Tiefe und öffne sie.
Guten Tag, Christian.
Grüß Gott, nehmen Sie Platz.
Ich schnappe mir den erstbesten Drehstuhl und sitze neben ihm. Er wirkt extrem entspannt, gelassen, ausgeglichen, kompetent, sofern man so aussehen kann und sympatisch oben drein. Obwohl das jetzt zweitrangig ist und nur die Analyse zählt.
Meine Ärztin hat mir heute mitgeteilt dass ich am Beginn der Stromeinleitung der EKT 5 Sekunden mein Herz nicht geschlagen hat.
6! 6 Sekunden waren es.
Erschreckt starre ich ihn an.
Mir wurden 5 Sekunden mitgeteilt. Also 6. O.K.
Schauen Sie Herr Christian. Wenn ihr Herz jetzt in diesem Moment 6 Sekunden pausiert bekommen Sie es wahrscheinlich nicht mal mit. Außerdem, es gibt ein Antidot. Das ist ein Gegenmittel.
Bevor mir noch die eigentliche logische Schlussfolgerung in den Sinn kommt ob er meint dass ich es nicht mitbekommen würde weil ich zwischen 3 und 6 Sekunden ohnmächtig werde und sozusagen wenn keiner da wäre der mich reanimiert den plötzlichen Herztod gestorben wäre versuche ich so gut es geht meine 300 Prozent Angst runter zu schrauben und das vom Internisten gesagte 100 prozentig abzuspeichern um dann wie ich es immer tu alles was er sagt im Internet zu recherchieren und abzugleichen weil die Ärzte immer darum bemüht sind dass der Patient beruhigt ist auch wenn noch so der Hut brennt. Außerdem gehen Ärzte viel zu selten davon aus welche Mühe ich mir mache aufgrund meiner schweren Erkrankung und des Verlaufes mir durch das Internet unglaublich viel Sachwissen im Laufe der Zeit angeeignet habe und so gut wie immer up to date bin.
Nach dem paar minütigen Gespräch mit dem lockeren Internisten der ein paar Notizen in meiner Stützpunkt-Akte macht und letzt Endes mit der Hauptinformation verbleibt dass ich mir keine Sorgen machen brauche weil es ein Antidot im „EKT“-Raum während der „EKT“ gäbe und dass es auf der Herzstation wirklich sehr arme Patienten gäbe die wirklich arm sind, erkenne ich dass das Gespräch am Ende ist und die Schwammigkeit seinen Lauf genommen hat.
Er streckt mir die Hand entgegen.
Meine Hände sind eiskalt wie blankes Eis.
Dann her damit! erwidert er.
Wir schütteln uns die Hände.
Der Temperaturunterschied der Oberfläche unserer Hände muss ungefähr bei 30 Grad gelegen sein.
Auf Wiedersehen. Danke.
Der Internist steigt auf seinen Roller und verlässt fahrend die Station.
Er hat gesagt es gibt ein Antidot. Ok. Mir kann also bei der EKT nichts passieren was diese Komplikation betrifft.
Warum sagte er 6 Sekunden?! Er korrigierte mich nachdem ich ihm mitteilte dass meine Ärztin mir 5 Sekunden keine Herzschlagfolge mitteilte dass es sich um eine 6 sekündige Asystolie handelte. Ich bilde mir ein er hat Sekunden bevor er das sagte in einen Monitor gesehen. Also warum sagte meine Ärztin 5 Sekunden?
Mir fällt ein, als ich im EKT-Raum lag, kurz bevor das Anästhesie-Mittel in den Venflon injiziert wurde tauchte plötzlich meine Ärztin im Raum auf und ich sie sagt:
Als ich das gehört habe, bin ich gleich gekommen.
Ihre Stimme klang minimal aufgeregt und man merkte die vorangegangene Beeilung in ihrem Klang.
Als Sie dann plötzlich auch neben meinem Bett stand sage ich zu ihr:
Frau Prof., was machen Sie denn hier?
Ich wollte Ihnen eine Freude machen Herr Christian. Freuen Sie sich nicht dass ich da bin?
Warum ist Sie wirklich gekommen? Und warum hat Sie das vorher gesagt? Hat sich das auf mich bezogen? Wenn es sich auf mich bezogen hat, hat Sie geglaubt ich bekomme das nicht mit? Warum ist Sie in meine 2. EKT geeilt? Warum hat Sie von 5 Sekunden Asystolie gesprochen?
Irgendwas ist da unklar. Intuitiv rieche ich hier irgendwie Verschleierung. Ich muß das checken! Es ist etwa 21.00 Uhr. Gehe zum Stützpunkt.
Ich möchte bitte in meine Akte Einblick nehmen. Natürlich heute nur wenn Sie noch die zuständige Oberärztin erreichen.
Ja, die ist in der Nähe, kein Problem Herr Christian.
Die Stationsmitarbeiterin hält mir auf Einverständnis der diensthabenden Oberärztin meine Akte vor die Nase.
So, was möchten Sie da genau wissen Herr Christian.
Hier ist ein Protokoll mit einigen Notizen des Internisten. Bitte ein Kopie davon. Und dann hätte ich noch gerne eine Kopie des Anästhesieprotokolls. Aber das werde ich morgen früh wenn die Ärzte anwesend sind anfordern. Reiche meine Akte an die Stationsschwester zurück und verschwinde mit den Notizen des Internisten in meinem Zimmer.
Ich setze mich auf mein Bett und stiere gleich aufgeregt die Notizen auf dem Vordruck des Kninischen Briefes bzw. Konsiliarbefundes des Internisten ab.
Liebe Klinik,
Pat. rez Tc (FRQ bis zu 170/min., Minuten bis Stunden)
Empf: MR-Herz (arrhythmogener rechts-ventrikulärer ARVD)
da 6 Sec. Asystolie nach EKZ empfehle ich Pause von Concor pro Interreverse
mfG
Was? Empfehlung? was empfiehlt er? ARVD, was ist ARVD?
Ich schnappe mir den Laptop aus meinem Spind. In einem akribisch mechanischem Ablauf als würde ein Rettungsmann nach dem Alarm seine Garnitur in schnellsten Abläufen zusammenfassen und zum Einsatz aufbrechen.
Passwort, komm, komm, Google, ARVD, 1. link, zack zack,
was steht da?
Arrhythmogene Rechtsventrikuläre Dysplasie (ARVD oder ARVCM)
Angeborene Herzerkrankung, bei der die rechte Herzkammer nicht aus Herzmuskel-Gewebe, sondern überwiegend aus Fett oder Bindegewebe besteht. Bei diesem angeborenen Herzfehler besteht ein deutlich erhöhtes Risiko den plötzlichen Herztod, da gehäuft maligne Herzrhythmusstörungen auftreten. Besteht aufgrund von Schwindel/Ohnmachtsanfällen, einem auffälligen EKG oder Fällen von plötzlichem Herztod im engen Verwandtenkreis der Verdacht auf eine ARVCM sind weitere diagnostische Maßnahmen erforderlich. Die Echokardiographie und das Herz-MR (CMR) sind meist wegweisend. Eine genetische Untersuchung und vor allem die Elektrophysiologische Untersuchung bringen zusätzlich Klarheit. Bei der ARVCM besteht wie auch bei anderen Kardiomyopathien die Indikation zur präventiven Implantation eines implantierbaren Defibrillators (ICD).
Als ich das lese fährt es mir durch Mark und Bein. Plötzlicher Herztod? angeborene Herzerkrankung? So eine Scheiße! Empfehlung? Na gut, aufgrund meiner Angaben und der 6 Sekunden-Asystolie sichert er sich sicher ab. Aber trotzdem. Was ist wenn das zutrifft? Der hat sicher langjährige erstklassige Kompetenz, wenn er inutuitiv Recht hat? Bitte nicht! Bitte jetzt nicht! Verdammt nochmal. So, und jetzt zum Betablocker. Komm Google. Was geben wir ein? Asystolie bei Elektrokrampftherapie. Scroll, scroll, Curser links, Curser rechts, rauf, runter, scroll.
O.K. hier ist ein Auszug aus einem Buch Seite 364.
4. Bei einer Dauertherapie mit ß-Rezeptoren-Blockern ist während der tonischen Phase die Gefahr einer Asystolie erhöht. Sie sollen deshalb am Tag der EKT nicht oder erst wieder im Anschluß daran verabreicht werden.
Ich kann das ja gar nicht glauben was ich da lese?
Sind die noch ganz dicht?
Der Anästhesist, der Komiker, führt mit mir ein dreißig minütiges Vorbereitungsgespräch vor der 1. EKT auf lässig, so als würden Sie mir dann 3 Kronen machen und sagt noch:
Ja, die Morgenmedikation von 150 mg Lyrica und die 0,5 mg Rivotril lassen wir vor der EKT weg, bitte nicht einnehmen. Den Betablocker, das Concor, wieviel nehmen Sie da? 1,25 mg. Das ist ja eine niedrige Dosierung. Die können Sie ohne weiteres in der Früh noch nehmen. Das macht Sie dann auch etwas ruhiger.
Da steht es erhöht die Gefahr einer Asystolie und der wahnsinnige lässt mich den Betablocker vor der EKT einnehmen wenn schwarz auf weiß steht dass es die Gefahr einer Asystolie erhöht. Ich glaub ich flipp aus.
So, und was steht noch bei Asystolie bei Elektrokrampftherapie so im deutschsprachigen Raum?
über 3 Sekunden kommt sehr sehr selten vor? zweimal sehr? Ich glaub ich spinn. Es hat in einer bekannten Klinik in Deutschland im Jahr 2001 schon mal eine 18-sekündige Asystolie bei einer EKT gegeben? Vor also 14 Jahren in einer bekannten Klinik, 3x solange? na das tröstet mich ja jetzt statistisch total. Ich dreh gleich durch! Das gibts ja alles nicht. Morgen früh verlange ich das Anästhesieprotokoll.
Mit Dobermann-Blick marschiere ich früh morgens beim Eintreffen der Ärzte auf den Stützpunkt zu.
Klopf. Klopf.
Guten Morgen, Grüß Gott.
Sind Sie bitte so nett, ich möchte eine Kopie des Protokolls meiner 2. EKT.
Herr Christian, guten Morgen. O.K. Na schauen wir mal. Schaut in den Monitor. Hier, das Anästhesieprotokoll, mit den Puls- und Sauerstoffsättigungswerten etc., das werden Sie wahrscheinlich meinen!?
Ja. Bitte drucken Sie mir das aus.
Danke Ihnen. Und verschwinde mit Dobermann-Blick mit geöffnetem Mund aus dem Stützpunkt und verschwinde sofort in meinem Zimmer.
So. eine Tabelle. So wie Excel Format. Alle möglichen Werte. O.K. was suche ich. Die Asystolie. Wo ist Sie? Wo ist die Asystolie? Die 6, von mir aus 5 Sekunden? Wo sind Sie. Kein Diagramm. Nur Zahlen neben den Parametern eingetragen. O.K.
Da steht nichts! Wo ist diese verkackte Asystolie? Alles was hier steht ist im Normbereich.
Seite 2
10.54 Herzfrequenz (1/min) 92 1/min;
10.54 SpO2: 100 %
10.54 Pulsfrequenz: 89 1/min.
10.56 Freitext-Kommentar: Post Eingriff EKG empf.
sowie kardiologische Abklärung
10.57 Anästhesie Ende: Anästhesie Ende
10.57 Bereit zur Verlegung: Bereit zur Verlegung;
10.57 Protokoll Ende: Protokoll Ende.
Die sagten doch es ist gleich bei Einleitung des Stroms eingetreten, also gleich nachdem ich narkotisiert wurde und Sie auf den Knopf drückten. Da steht aber nichts in dieser Zeit. Nur zu Beginn ist ein Diagramm von 10.30 Uhr bis 11.00 Uhr. Da fehlen zu Beginn ein bis 2 Punkte im Diagramm. Die schreibt da im Freitext-Kommentar Feld: kardiologische Abklärung? Die sitzt eine halbe Stunde da drinnen, ist nur für das Protokoll zuständig und textet zur kardiologisch erbetenen Abklärung nicht mal den Grund? Das darf doch nicht wahr sein? Das gibt es nicht! 3 Wörter, von mir aus 5 Sekunden Zeitaufwand für den Grund der kardiologisch erwünschten Abklärung. 6-sekündige Asystolie. Warum hat die das nicht ergänzt? Das ist doch nicht ordnungsgemäß. Das ist doch faul! Die haben das nur mündlich weitergereicht. Untereinander? Na klar, dann hat der Anwesende, meine Ärztin 5 Sekunden erlebt, und der nicht anwesende Internist erzählt mir als wüsse er es genau und sagt: Es waren sogar 6 Sekunden.
„Na jetzt kracht es aber! Die können sich was anhören. Jetzt muss ich mit denen Tacheles sprechen. So geht das nicht! Meiner Meinung nicht ordnungsgemäß! Fahrlässig könnte man schon sagen.
1. Betablocker, diese Ahnungslosen haben nicht gewusst dass ich den vor der EKT sicherheitshalber pausieren muss.
2. Anästhesieprotokoll, kardiologische Abklärung erbeten und halten es für nicht angebracht den Grund dazu zu vermerken?
Mittwoch, der Tag an dem eigentlich die 3. EKT vorgesehen ist.
Gegen 8 Uhr, zur Frühstückszeit, schreite ich mit bösem Blick Richtung Stützpunkt. Ich weiß dass mein Frühstück an diesem Morgen gesperrt ist weil ich Nüchtern sein soll weil die noch nicht wissen dass ich vor Abklärung der Herz-Asystolie keine Elektrokrampftherapie weitermachen werde. Im Stützpunkt sind bereits die Ärzte eingetroffen und haben sich mit den Stationsmitarbeitern versammelt und besprechen die Tagessituation, sehen sich verschiedene Befunde im Monitoring an oder recherchieren oder analysieren die Kurven der Patienten um für die ab 9 Uhr beginnende Visite vorbereitet zu sein.
Ich blicke in die Runde im Stützpunkt in Weiß.
Eine der beiden diensthabenden Oberärztinnen bemerkt mich sofort.
Herr Christian, guten Morgen. Ich habe schon gehört. Gestern war der Internist bei Ihnen und wir werden den Betablocker auf Empfehlung jetzt doch vor der EKT weglassen.
Grüß Gott Frau Professor. Und haben Sie auch die Empfehlung des Internisten zur Abklärung mittels einer Herz-MRT gelesen?
Ja. Das ist bei Gelegenheit, Herr Christian.
Bitte, wo steht bei der Empfehlung des Internisten irgendwo „bei Gelegenheit“? Dort steht dass diese Untersuchung auch mit einer eventuellen Verdachtsdiagnose einer ARVD empfohlen wird, und da steht nirgendwo auch nicht in Klammer „bei Gelegenheit“. Also wie kommen Sie bitte darauf dass diese Untersuchungs-Empfehlung bei Gelegenheit gemeint ist?
Also heißt das dass Sie heute die EKT nicht machen werden?
Nein! Bevor ich wie vom Internisten empfohlen zur Abklärung die Herz-MRT nicht durchgeführt und befundet wurde werde ich die EKT nicht fortsetzen.
Auf gar keinen Fall also?
Sicher Nicht!
O.K. rufen Sie an und sagen Sie die EKT für Herrn Christian heute ab, sagte Sie zu einem der Stationsmitarbeiter.
Daraufhin wendet Sie sich was immer Sie sich denkt von mir ab und beschäftigt sich mit Ihren Aufgaben. Eine der Stationsmitarbeiterin teilt mir kurz mit für mich ein Frühstück aus der Küche zu organisieren und gibt mir inzwischen meine Morgenmedikation. Mit Adrenalin vollgepumpt und total verärgert und entschlossen folge ich der Schwester zur Küche, nehme mein Frühstückstablett entgegen, setze mich in den Speiseraum und verschlinge eine Butter-Marmeladen-Semmel und trinke den üblichen Filterkaffee dazu.
Gegen halb neun trifft meine zuständige Ärztin ein und setzt sich im Frühstücksraum zu mir.
Guten Morgen Herr Christian.
Guten Morgen Frau Professor.
Herr Christian, wie war das Gespräch gestern mit dem Internisten?
Er war sehr nett, emphatisch und hat mir versucht mich so gut als möglich zu informieren und letztendlich, Sie finden die Notizen in meiner Akte empfohlen eine Herz-MRT durchzuführen um einen Zusammenhang meiner Asystolie mit einer eventuellen angeborenen oder erworbenen Herzerkrankung auszuschließen.
O.K., dann machen wir jetzt mal vorerst eine Pause von der EKT und sehen wann wir den nächsten Termin für die Herz-MRT hier im Haus bekommen können.
Sollte es hier nicht in absehbarer oder angemessener Zeit möglich sein, bin ich gerne bereit die MRT mit einer Überweisung extern durchführen zu lassen. Ich kenne da einige Röntgeninstitute, eines in Baden oder jenes in der Urania wo ich sicher innerhalb von Tagen dran komme. An der Organisation meinerseits soll es nicht scheitern, ergänze ich noch etwas frech.
Gut. Jetzt schauen wir mal wann wir hier einen Termin erhalten können und ich gebe Ihnen dann Bescheid. Wir sehen uns später bei der Visite. Gut? Bis später.
Ich verschwinde auf mein Zimmer und widme mich nochmals meinen gesammelten Notizen und Recherchen aus dem Internet sowie dem Anästhesieprotokoll und überlege mir meine Punkte für die Visite. Da eigentlich schon alles zur momentanen bzw. neuen Situation besprochen wurde beabsichtige ich trotzdem vor gesammelter Belegschaft des Visitenteams und Zimmerkollegens die Punkte nochmal gesammelt vorzutragen bzw. auch definitiv als Kritik festzuhalten um durch die ganzen Einzelgespräche nicht wieder neuerliche Missverständnissen aus heiterem Himmel aufkommen zu lassen. Die Definition aus heiterer Hölle würde wohl angemessener passen in diesem Zusammenhang.
Etwa 11.00 Uhr, Visite Zimmer 6:
Grüß Gott.
Beginnen wir bei Ihnen Herr Christian.
Heute bleibe ich zum ersten Mal in meiner gesamten Laufzeit aus stationären Aufenthalten am Bett sitzen, habe die Füße im Türkensitz, eine steinerne bissige Miene und bin nicht bereit mich wie sonst höflich bei der Begrüßung mit Handschütteln aufzustehen und verharre beim Handshake demonstrativ obwohl nicht in Gips am Bett sitzend.
Ich spüre förmlich zum ersten Mal diesmal glaube ich auch die angespannte Haltung meiner Ärztin.
Grüß Gott Herr Christian.
Wir haben bereits wegen einem Termin zur Herz-MRT angefragt. Wir geben Ihnen so rasch als möglich Bescheid wann dieser möglich ist. Schauen wir mal. O.K.?
Ja. Gut.
Ich möchte noch meinerseits folgendes festhalten bzw. Kritik anbringen.
Es ist international üblich bei Langzeittherapie mit Betablockern am Tage der EKT den Betablocker abzusetzen, weil dieser die Möglichkeit einer Asystolie deutlich erhöht. Der Anästhesist hat mit mir beim Vorbereitungsgespräch auf „locker vom Hocker“ über alles gesprochen und gemeint ich kann diesen morgens vor der EKT einnehmen, der beruhigt mich. Ich glaube der Anästhesist sollt eine Nachschulung machen. Er hat scheinbar in der Schule nicht aufgepasst, sonst hätte er mir den Betablocker zur morgendlichen Einnahme gestrichen.
Weiters möchte ich Kritik anbringen dass im eineinhalb seitigen Anästhesieprotokoll alles mögliche an Daten und Durchschnittswerten notiert ist und abschließend im Freitext steht dass eine kardiologische Abklärung erbeten ist. Die Anästhesistin sitzt rund 30 Minuten in dem EKT-Raum, hat eh nichts anderes zu tun als sich um das Protokoll zu kümmern und man findet es nicht der Mühe wert zu der Notiz der kardiologischen Abklärung zu vermerken warum diese gewünscht ist? Das finde ich aus meiner Sicht nicht ordnungsgemäß! Eine 6-sekündige Asystolie ist eine sehr sehr seltene und gehört zu den schwereren Komplikationen und man lässt diese 3 Wörter der Begründung einfach weg? Ich finde das nicht in Ordnung!
Ich habe das jetzt nochmal festgehalten und möchte es hiemit damit beruhen lassen weil schließlich möchte ich ja dass mir hier geholfen wird und möchte es mir nicht mit allen verkrämen. 